Bürger*Innenräte: Aber wie!

von Yantin Irmgard Fleischhauer 19.05.2020

Eine global vernetzte Welt hat zur Folge, dass Herausforderungen und Entscheidungen im gesellschaftspolitischen Kontext zunehmend komplexer werden. Themen, wie der Klimawandel, lassen sich nicht mehr allein auf nationaler Ebene lösen und erfordern langfristig gedachte, heterogene Lösungen. Oft ist das heutige politische System dem schnellen Wandel und der Mehrdimensionalität neuer globaler Herausforderungen nicht gewachsen. Gleichzeitig erfordert der wachsende Anspruch von Bürger*innen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, ein Umdenken und -strukturieren auf politischer Ebene.

Vor diesem Hintergrund entstehen seit einigen Jahren weltweit Initiativen, die versuchen Bürger*innen in Form eines Bürger*innenrats mehr in den politischen Diskurs zu integrieren. Diese finden ihre Anwendung auf nationaler Ebene, als auch auf Landes- und Kommunalebene. Bekannte Beispiele auf nationaler Ebene sind das „Citizens’ Assembly“ (2016- 2018) in Irland oder die zurzeit praktizierte „La Convention Citoyenne pour le Climat“ (seit 2019) in Frankreich. Auf Landesebene lässt sich die „Citizens’ Assembly on Electoral Reform“ (2004) in Britisch Columbia (Kanada) und der „Bürgerdialog“ (seit 2019) in der deutschsprachigen Gemeinde Ostbelgiens nennen. Die wohl Bekanntesten Beispiele auf kommunaler Ebene sind das „Vorarlberger Modell“ in Vorarlberg (Österreich) oder die Bürger*innenräte im Londoner Stadtteil Camden.

Obwohl Bürger*innenräte in immer mehr politischen Kontexten ihre Anwendung finden, laufen diese in der Praxis jedoch meist sehr unterschiedlich ab. Daraus lässt sich schließen, dass die Bezeichnung „Bürger*innenrat“ recht vage ist und auf keine klar definierten Kriterien zurückzuführen ist. 

Einerseits mag die vage Definition der Grund dafür sein, warum Bürger*innenräte unterschiedlich ablaufen. Viel eher glaube ich jedoch, dass hierbei ein zentrales und notwendiges Merkmal moderner Verfahren sichtbar wird: Im Anbetracht der schnellen Geschwindigkeit und Komplexität, von denen gesellschaftspolitische Herausforderungen heutzutage gezeichnet sind, reichen standardisierte Verfahren nicht mehr aus. Sie können auf die sich schnell wandelnden Anforderungen kaum reagieren, geschweige denn den Anforderungen entsprechende Lösungen liefern. 

Bürger*innenräte sind ein gutes Beispiel um zu verdeutlichen, wie sich auf natürliche Art Verfahren nach dem Prinzip „Form follows function“ entwickelt haben. So variieren die einzelnen Bürger*innenräte je nach Thema, was gewährleistet, dass das erarbeitete Ergebnis überhaupt den Anforderungen eines Themas gerecht werden kann.

Daraus lässt sich schließen, dass Bürger*innenräte zwar anhand bestimmter Merkmale, wie zufällige Auswahl, wechselnde Teilnehmer*innen, Deliberation und begrenzte Zeiträume für die Erarbeitung eines Themas zu erkennen sind, gleichzeitig jedoch kein einheitliches Verfahrensmodell für Bürger*innenräte definiert werden kann, da sich das jeweilige Verfahren erst aus den Anforderungen eines Themas heraus ergibt.

Die Tatsache, dass es sich bei Bürger*innenräten um kein standardisiertes Verfahrensmodell handelt, lässt Spielraum für weitere Ideen und ermöglicht Flexibilität in der Konzeption. Der Artikel, als auch die beigefügten Grafiken, sollen eine Möglichkeit bieten aus den Erfahrungen anderer Bürger*innenräte zu lernen und sich von deren Ideen und Experimenten inspirieren zu lassen.

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